BLACK CINEMA

Schon in früheren Festivalausgaben hat sich das FILMFEST MÜNCHEN dem Schwarzen US-Kino gewidmet. Programmerin Julia Weigl führt diese Tradition fort und kuratiert für die Jubiläumsausgabe in Kooperation mit dem Museum Brandhorst einen Schwerpunkt mit Werken Schwarzer Künstler:innen.

Schwarzes Kino in der Filmfestgeschichte

 

Mit der Etablierung der Reihe „American Independents“ schuf Ulla Rapp beim Filmfest einen Rahmen, innerhalb dessen auch Filme afroamerikanischer Filmemacher:innen gezeigt wurden. 1987 kam zum Beispiel Robert Townsend mit seiner Komödie HOLLYWOOD SHUFFLE nach München, mit ihm selbst in der Hauptrolle. Immer wieder bündelte Rapp Filme des Black Cinema in Schwerpunkten innerhalb ihrer „Indies“-Reihe, beim Filmfest 1990 zum Beispiel zu einer Selektion mit „Young Black Cinema“.

Drei Jahre später kuratierte sie erneut ein Special unter dem Titel „Early Black Cinema“: „Ich hatte gelesen, dass in einer Kleinstadt in Süd-Texas zwei Kisten mit Filmen entdeckt worden waren: Filme von schwarzen Regisseur:innen, gedreht mit schwarzen Darsteller:innen, für ein schwarzes Publikum. Mit diesen großartigen Pionierarbeiten setzten wir unsere Beschäftigung mit dem Black Cinema fort“, so Ulla Rapp. In den folgenden Jahren standen immer wieder vereinzelt Filme des Schwarzen Kinos auf dem Programm, auch nachdem Ulla Rapp als Filmfest-Programmerin aufgehört hatte. 2007 übernahm Susana Borges Gomes ihre Position, auf sie folgte 2016 Sofia Glasl.

 

„A Selection of Black Cinema” mit Arthur Jafa

 

2019 kooperierte das FILMFEST MÜNCHEN mit dem Museum Brandhorst für das Programm „A Peculiar Vantage: A Selection of Black Cinema“. Kuratorisch federführend war der afroamerikanische Künstler und Filmemacher Arthur Jafa, dessen Werke in der Jubiläumsausstellung zum 10-jährigen Bestehen des Museum Brandhorst gezeigt wurden. Im Filmprogramm liefen Blaxploitation-Klassiker wie Melvin van Peebles‘ SWEET SWEETBACK’S BAADASSSSS SONG (1971) oder PASSING THROUGH (1977) von Larry Clark. Letzterer ist ein zentraler Vertreter der „L.A. Rebellion“, die in den späten Sechzigern als Bewegung Schwarzer Regiestudent:innen an der Filmhochschule der University of California entstanden war und bis in die späten 1980er ein dezidiert Schwarzes Kino als Alternative zum klassischen Hollywood-Kino etablierte. Eine weitere wichtige Figur der „L.A. Rebellion“ war und ist der 1946 in Äthiopien geborene Regisseur Haile Gerima. Aus seinem Oeuvre waren die Spielfilme BUSH MAMA (1975) und ASHES AND EMBERS (1982) in Arthur Jafas Selektion zu sehen.

FFM1987 Roberttownsend Ullarapp

Robert Townsend mit Ulla Rapp

FFM2019 G Arthurjafa 20 JML

Dennis Dortch, Arthur Jafa und Larry Clark

DIE ERBEN DER „L.A. Rebellion“

 

Die „L.A. Rebellion“ lebt heute in einer neuen jungen Bewegung des Schwarzen Kinos fort. Merawi Gerima, Sohn von Haile Gerima, legte 2020 mit RESIDUE ein beachtliches semi-autobiografisches Spielfilmdebüt vor, in dem ein afroamerikanischer Regisseur in sein Heimatviertel in Washington, D.C., zurückkehrt und dort beobachten muss, welche Auswirkungen die Gentrifizierung und der strukturelle Rassismus auf die Schwarze Community haben. Julia Weigl, die seit 2019 als Programmerin für die skandinavischen und englischsprachigen Filme beim Filmfest zuständig ist, lud RESIDUE mitsamt Regisseur Merawi Gerami zur Festivalausgabe 2021 nach München ein. (Hier finden Sie ein Interview von Julia Weigl mit Merawi Gerima).

Auch im Jahr darauf programmierte Julia Weigl verstärkt Filme, die dem Anspruch des Filmfests, diverse Filme für ein diverses Publikum zu zeigen, entsprechen. Zu den Highlights des Filmfests 2022 gehörte zum Beispiel EAR FOR EYE der britischen Dramatikerin, Drehbuchautorin und Regisseurin debbie tucker green: eine expressiv gefilmte, bühnenhafte Adaption ihres eigenen Theaterstücks, das von verschiedenen traumatisierenden Erfahrungen britischer und amerikanischer Schwarzer handelt.

Eine neue Welle unabhängigen Schwarzen Filmemachens sei zu beobachten, so Julia Weigl, wobei die Grenze zum Mainstream mittlerweile allzufließend sei: „Selbst auf dem Sundance-Filmfestival, das seit jeher als Heimat des Independent-Kinos gilt, ist zu beobachten, dass der Großteil der Filme von großen Studios produziert wurde. Oder die Filme werden für 20 Millionen an einen Streamingdienst verkauft. Die Versuchung ist dabei groß, dass die Filme von vorneherein mit Blick auf den Markt gedreht und die Geschichten mitsamt ihrer Ästhetik weichgespült werden. Dabei geht es einigen Vertreter:innen des Black Cinema gerade darum, nicht den gängigen Erzählmustern und traditionellen, vor allem weiß geprägten Sehweisen zu entsprechen, sondern sie wollen ästhetisch wie inhaltlich eigene, neue Wege gehen und dabei ein genuin Schwarzes, zeitgenössisches Kino schaffen.“

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BAADASSSSS CINEMA:
An Evening with Sir Isaac Julien  

 

Ein absolutes Highlight steht schon in diesem Frühling an: Mit dem britischen Regisseur und Video-Künstler Sir Isaac Julien können das Museum Brandhorst und das FILMFEST MÜNCHEN am 9. Mai einen Star der internationalen Kunstszene in München begrüßen. So würdigt die Tate Britain sein vier Dekaden umfassendes Werk in diesem Jahr mit der großen Solo-Ausstellung „Isaac Julien: What Freedom is to Me“. Im Rahmen der langjährigen Kooperation des Museum Brandhorst mit dem Filmfest wird Isaac Julien seinen gefeierten Dokumentarfilm BAADASSSSS CINEMA (2002) über die Blaxploitation-Filme der 1970er Jahre im Foyer des Museum Brandhorst persönlich vorstellen und anschließend an einem Talk zur Geschichte von Black Cinema im Zusammenspiel von damals und heute teilnehmen.