REVANCHE

Dk

Dieter Kosslick

Ehemalig: Hamburger Filmbüro und FilmFonds HH, Präsident EFDO, MEDIA Filmstiftung NRW, Berlinale-Direktor 

1983. Vor genau vierzig Jahren herrschte im Hamburger Filmbüro e.V., der ersten selbstverwalteten Filmförderung in der Friedensallee 7 im Arbeiter-Stadtteil Altona, helle Aufregung. Die Münchner machten ein „Filmfest“ und „das ging gar nicht“, so die allgemeine Meinung der noch jungen Hamburger Filminitiative. Es waren meine ersten Wochen als neuer Geschäftsführer, als Nachfolger von Helga Bähr, und gleich befand ich mich inmitten filmpolitischer Turbulenzen. 

Diese hatten bereits 1978 in München begonnen. Dort sollte der Direktor der Münchner Modewoche, Herr Wurm, ein schickes, Cannes gleiches Glamourfestival organisieren, was viele der dort ansässigen Autorenfilmer – unter ihnen Alexander Kluge, Eberhard Hauff, Hans W. Geissendörfer und allen voran Hark Bohm – in die Flucht trieb. Und zwar nach Hamburg, mit dem Zug. Eine Art nachhaltige Filmpolitik.  

Der damals gerade frisch gewählte Erste Bürgermeister Hans-Ulrich Klose und sein kulturvernetzter Pressesprecher Manfred Bissinger griffen zu: „Das Filmfest der Filmemacher“ (das generische Maskulinum war damals üblich) brachte die Hamburger Filmszene in Schwung und begeisterte das Hamburger Publikum im Kino und in einem weißen Zelt auf dem Rathausmarkt. Das war mal was anderes und die zurückhaltenden Hanseaten (Stichwort: steif!) tanzten sogar. Legendär. 

Mein Job war damals, die Reden des Bürgermeisters zu schreiben und es schadete nichts, dass ich die Münchner Filmszene aus meiner Studienzeit kannte. Der Kreis der Kreativen revolutionierte damals sogar die Filmförderung: Mit der Hamburger Erklärung wollten sie ein neues Modell der Gemeinsamkeit schaffen, alte Hasen und Jungfilmer:innen, genreübergreifend mit Filmhaus und eigener, selbstverwalteter Filmförderung. Auf zu neuen Ufern, eine Art Oberhausen 2.0., unterschrieben von fünfzig Filmschaffenden, und neben einem Filmhaus in der historischen Schiffsschraubenfabrik „Zeise“ gab es auch noch drei Millionen Mark als Fördergeld.  

Alles lief gut mit viel Initiative, Diskussionen, Mitgliederversammlungen und Förderbürokratie. Aber auch „Selbstverwaltung“ musste verwaltet werden und hinzu kam wöchentlicher Küchendienst für die Gemeinschaft. Eine eigene Filmhauskneipe beendete das kulinarische Experiment der Hobbyköche. 

Filmproduktion, Förderung, Gemeinschaftsverpflegung und Diskussionsfreude – da blieb keine Kraft mehr, am Erfolg des ersten Hamburger Filmfests anzuknüpfen. Und jetzt kamen die Münchner, die mit sommerlichem Plakat der besten Plakatkünstler Margrit und Peter Sichert das neue Festival ankündigten. Und der neue Direktor Eberhard Hauff umarmte jeden und jede. Tolle Stimmung in München und eine verschnupfte Filmhausszene in Hamburg.  

Doch die Revanche ließ nicht lange auf sich warten. Wir organisierten zwei Jahre später die „Hamburger Filmschau“ und dann das erste „Europäische Low Budget Forum“, ein neuartiges europäisches Film- und Arbeitsfestival mit Filmen von Peter Greenaway, Derek Jarman und Jos Stelling und einer riesigen schwimmenden Leinwand auf der nachtblau schimmernden Alster. Tagsüber gab es Panels zur gerade beginnenden europäischen Film- und TV-Politik (Low Budget or Show Budget!). Alles gefördert mit 20 000 ECUs, dem Vorläufer des Euros. 

Das Ganze mündete in die erste europäische Förderinitiative MEDIA, heute „Creative Europe-MEDIA -Programm“ der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel. Mit seinem heutigen mehrjährigen Milliarden-Euro-Förderprogramm für Verleih, Kino, Training und Promotion. Sitz der paneuropäischen Verleihförderung „EFDO - European Film Distribution Office“ wurde das Hamburger Filmbüro.

So führte die audiovisuelle Konkurrenz zwischen dem etablierten Filmland Bayern und den ehrgeizigen Hanseaten zu zwei großartigen Filminitiativen: Ohne „Creative Europe-MEDIA“ sähe die Kinolandschaft in Europa anders aus und München mauserte sich nach 40 Jahren zum zweitgrößten und wichtigsten Filmfestival der Republik mit einem auch international respektierten Programm, einem tollen Team und einem weißblauen Himmel. Der ist sowieso konkurrenzlos.  

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. 

Euer Dieter  

FFM1988 G Hauff Kosslick