Nicht nur Rosen haben Dornen

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Florian Borchmeyer

Kurator für das Internationale Programm beim Filmfest, im Speziellen für Filme aus Lateinamerika

Kurz vor der Jahrtausendwende, 1999, war eine regelrechte Aufbruchsstimmung im lateinamerikanischen Kino zu spüren, weshalb Ulla Rapp und Klaus Eder auf die Idee kamen, beim Filmfest eine Reihe für lateinamerikanische Filme einzuführen. Eröffnet wurde die Sektion mit LA VENDEDORA DE ROSAS von Regisseur Victor Gavirias, einem halbfiktionalen Film über eine Rosenverkäuferin in Kolumbien. Die Kamera begleitet sie hautnah auf der Straße, die Darsteller:innen haben sich allesamt selbst gespielt – mit einem tragischen Ende in der Realität…

Zunächst mal war die titelgebende Rosenverkäuferin, Lady Tabares, zu Gast bei uns. Nach der Vorstellung ihres Films wurde sie von den Leuten gefragt: „Was machen sie denn, wenn sie zurück in Kolumbien sind? Was sind ihre nächsten Rollen?“ Sie meinte: „Rollen? Ich verkaufe Rosen!“ Damals war sie gerade mal 17 Jahre alt. Nach ihrer Rückkehr hat sie dann mit ihrem Freund Taxifahrer überfallen. Ein Taxifahrer erkannte sie, weil er offenbar den Film gesehen hatte! Woraufhin die beiden ihn umgebracht haben.

Das Filmfest hatte also eine waschechte Mörderin in spe zu Gast. Lady, die Rosenverkäuferin, wurde zu 26 Jahren Gefängnis verurteilt. Letztes Jahr hat sie, vorzeitig entlassen und nun 40 Jahre alt, erstmals wieder eine Rolle in einem Film gespielt. Mal schauen, ob wir den Film und sie noch mal einladen…

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Lady Tabares (links) in LA VENDEDORA DE ROSAS.