EINE SINGLE FÜR TARANTINO

Thomas Schultze Groesser

Thomas Schultze

Chefredakteur der Fachzeitschrift „Blickpunkt: Film“

Nach RESERVOIR DOGS, der in München zuerst auf dem Fantasy Filmfest lief, war Quentin Tarantino unser Held, einer, der für ein unabhängiges amerikanisches Kino stand, das uns gefiel. Natürlich kannten wir längst das Drehbuch von PULP FICTION, wie wir auch Tarantinos Scripts von TRUE ROMANCE, FROM DUSK TILL DAWN und NATURAL BORN KILLERS bereits verschlungen hatten. Alles, was man in die Hände bekommen konnte. Wohlgemerkt vor dem Internet! Aber irgendwelche Quellen gab es immer, die man anzapfen konnte.

Auf jeden Fall wussten wir, dass PULP FICTION rocken würde. Monate vor der Weltpremiere in Cannes hatten wir alles längst ausdiskutiert, jeden Kniff der unerhört konstruierten Handlung, die Querverweise auf RESERVOIR DOGS, vor allem die Chuzpe, einen Loser wie John Travolta in der Hauptrolle zu besetzen. Der traute sich was! Dann die Goldene Palme, verdient und weil Clint Eastwood sie gegenüber seiner Jury in Cannes durchgesetzt hatte. Und dann natürlich die Ankündigung, dass der Film auf dem FILMFEST MÜNCHEN laufen würde, erstmals in Deutschland, und dass Tarantino selbst kommen wird. Wo sonst, verdammt noch mal! Wo anders wäre das denkbar gewesen 1994, als auf dem Filmfestival, wo die große Ulla Rapp seit Jahren die American Independents abfeierte und ein Highlight nach dem anderen aus dem Hut gezaubert hatte. Und nun PULP FICTION. Und nicht nur PULP FICTION, sondern auch KILLING ZOE, das Regiedebüt von Roger Avary, der das Drehbuch des Cannes-Gewinners gemeinsam mit Tarantino geschrieben hatte, beide in den Achtzigern Angestellte der Videothek „Video Archives“, wo sie davon geträumt hatten, selbst einmal Filme zu drehen, die so aussahen, wie sie fanden, dass richtige Filme aussehen sollten.

Beide durfte ich damals interviewen. Ich erinnere mich, dass Tarantino kein Sakko mitgebracht hatte und mit der Pressevertreterin des Verleihs Scotia in der Münchner Innenstadt shoppen ging, um ein abartig scheußliches rotes Jackett zu erstehen. Bestimmt gibt es noch Fotos, die das bestätigen können. Scheußlich! Beim Interview war er klasse, aber es war eine kurze Angelegenheit, in irgendeinem Münchner Hotel, ich habe vergessen, welches. Ich weiß noch, dass ich ihm extra aus meiner Sammlung die Single „Fly Robin Fly“ von Silver Convention mitgebracht hatte, ein in Deutschland großer Proto-Discohit aus dem Jahr 1975 (5 Minuten 15 lang, sieben Worte Text). In der fiktiven Radiosendung, die in RESERVOIR DOGS im Hintergrund zu hören ist, „K Billy’s Super Sounds of the Seventies“, kündigt der DJ den Song an und nennt die Band fälschlicherweise „Silver Connection“. Das wollte ich Tarantino gerne gesagt haben. Klugscheißer halt. Ich drückte ihm die Single in die Hand. Er fand’s nicht so lustig. Never try to bullshit a bullshitter.

Roger Avary war eine andere Marke: Unser Interview dauerte mehr als zwei Stunden, danach zogen wir in die Münchner Nacht. Irgendwo liegen die Bänder noch rum. Danke, FILMFEST MÜNCHEN. Danke, Ulla Rapp. Ohne Euch wäre alles anders.

FFM1994 G Quentintarantino 01

Quentin Tarrantino – leider ohne Sakko.