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Bei der CineCoPro Conference steht dieses Jahr Kanada als Gastland mit seiner vielfältigen Filmlandschaft im Fokus.

Ein Text von Scott Roxborough

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Allen Sunshine

Während sich die Vereinigten Staaten von Amerika gerne als kultureller Schmelztiegel bezeichnen, bevorzugt Kanada die Metapher des kulturellen Mosaiks. Statt der weltweit exportierten Hollywood-Monokultur spiegelt das kanadische Kino die Fragmente der vielfältigen Gesellschaft einer Nation wider. Es gibt nicht nur eine, sondern viele kanadische Kinotraditionen, nicht eine, sondern mehrere Gemeinschaften von Regisseur:innen und Filmemacher:innen.

Es gibt ein französisch- und ein englisch-kanadisches Kino. Ein urbanes und ein indigenes, ein feministisches und ein queeres kanadisches Kino. Hinter den etablierten Kadern kanadischer Auteurs und Blockbuster-Regisseur:innen – Denis Villeneuve und James Cameron, David Cronenberg und Sarah Polley, Shawn Levy und Guy Maddin – steht eine neue Generation von Regisseur:innen aus dem hohen Norden, die gerade erst beginnt, ihr eigenes Erbe zu schaffen.

Aus der Ferne betrachtet gibt es wenig, außer der riesigen kanadischen Geografie, das diese facettenreiche Sammlung von Filmemacher:innen, Kulturen und Genres verbindet. Doch die kanadischen Filme, die beim 41. FILMFEST MÜNCHEN gezeigt werden, fangen die vielfältige und heterogene Landschaft des heutigen kanadischen Films ein. THE QUEEN OF MY DREAMS, eine leicht autobiografische Erzählung der Regisseurin Fawzia Mirza, ist eine Geschichte über Familie, Geschlechtsidentität und ethnische Herkunft. Sie spielt in Nova Scotia und Pakistan und ist mit einem mitreißenden Soundtrack unterlegt. Xavier Legrands verschachtelter Thriller LE SUCCESSEUR folgt einem aufstrebenden Modedesigner aus Paris, der nach Quebec zurückkehren muss, nachdem er vom Tod seines Vaters erfahren hat, nur um mit Familiengeheimnissen konfrontiert zu werden, die ihn zerstören könnten. Chloé Robichauds französischsprachiger Film LES JOURS HEUREUX erzählt von einer ehrgeizigen Dirigentin, die versucht, ihren Beruf mit ihrem Privatleben in Einklang zu bringen.

The Queen Of My Dreams Online1

The queen of my dreams

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Les jours heureux
Foto: Laurence Grandbois Bernard

Die gezeigten Genres umfassen düstere Rachethriller wie Karl R. Hearnes THE G. Darin spielt Dale Dickey, bekannt durch ihre Rolle in WINTER’S BONE, eine ältere Frau, die sich an ihrem korrupten gesetzlichen Vormund rächen will. Außerdem romantische Science-Fiction wie Kim Albrights WITH LOVE AND A MAJOR ORGAN, die uns in eine alternative Realität führt, in der alle menschliche Individualität und Emotionen durch Technologie unterdrückt wurden. Ben Petries THE HEIRLOOM über ein Paar, das während des Corona-Lockdowns beschließt, einen Rettungshund zu adoptieren, bedient sich einer spezifisch kanadischen Art von Cringe-Komödie mit einem metafiktionalen Touch: Das Paar wird von Petrie selbst und seiner echten Partnerin Grace Glowicki gespielt. Harley Chamandys ALLEN SUNSHINE dagegen ist eine eher kontemplative Erzählung eines ehemaligen Musikmoguls, der sich nach dem Selbstmord seiner berühmten Frau in sein abgelegenes Haus am See zurückzieht, um zu trauern. Der Dokumentarfilm in der Gruppe, Oliver Schwehms BORN TO BE WILD – EINE BAND NAMENS STEPPENWOLF, beleuchtet die Karriere der legendären Rockband, die den Soundtrack für die Gegenkultur der 60er-Jahre schrieb.

Die Vielfalt ist bewusst gestaltet. Telefilm, Kanadas nationale Filmbehörde, arbeitet seit Jahren daran, die kanadische Filmindustrie so zu gestalten, dass sie das Mosaik der kanadischen Gesellschaft besser widerspiegelt. Neben den Bemühungen, die immer noch klaffende Geschlechterlücke zu schließen – ein jüngster Bericht ergab, dass 77 Prozent aller Schlüsselpositionen im kreativen B reich und 82 Prozent der Netzwerkelite in der kanadischen Industrie von Männern besetzt sind – richtet Telefilm gezielt Fördermittel auf Geschichten aus unterrepräsentierten Gruppen, besonders die von Schwarzen, Indigenen und People of Color (BIPOC).

„Die Tatsache, dass ich eine BIPOC-Frau bin und ich vor allem mit Frauen arbeite, hat wahrscheinlich nicht geschadet, als es darum ging, Telefilm-Fördermittel zu erhalten“, bemerkt Kim Albright, Regisseurin von WITH LOVE AND A MAJOR ORGAN. „Sie wollen, dass diese Geschichten erzählt werden.“

Indem Telefilm kanadische Produzent:innen dazu ermutigt, kreativer bei der Finanzierung ihrer Filme zu sein und verschiedene Finanzierungsquellen sowohl öffentlich als auch privat zu nutzen, fordert es auch die nationalen Filmemacher:innen dazu auf, ehrgeiziger in ihrer Erzählweise zu werden. Die Nach bildung des Pakistans der 60er-Jahre und des Nova Scotia der 80er und 90er in THE QUEEN OF MY DREAMS war „nicht einfach ... oder billig“, sagt Regisseurin Fawzia Mirza. Und merkt an, dass die Produktion die kanadischen Fernsehrechte an den nationalen Pay-TV-Kanal Crave sowie den öffentlichen Sender CBC im Voraus verkauft habe und privates Beteiligungskapital aus den USA heranzog, um ihr Budget zu erhöhen.

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Born to be wild - eine Band namens Steppenwolf
FOTO: DIDI ZILL

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With love and a major organ

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The g

Chloé Robichaud, die Regisseurin von LES JOURS HEUREUX kombinierte Telefilm-Förderung mit Subventionsunterstützung von Quebecs SODEC. Das ermöglichte es dem Film, „ein ganzes professionelles Orchester“, das Orchester Métropolitain von Montreal, zu bezahlen und die Welt hinter dem Vorhang der klassischen Musik nachzubilden. „Es war kein Low-Budget-Film, aber Telefilm und SODEC haben immer an mich geglaubt und sie waren glücklich, mich zu unterstützen“, sagt Robichaud.

LE SUCCESSEUR ist eine belgisch-kanadisch-französische Koproduktion und nutzte die koproduktionsfreundliche Umgebung (das Land hat Koproduktionsabkommen mit mehr als 50 Nationen weltweit).

Die Herausforderungen, vor denen kanadische Filmemacher:innen stehen, sind vielfältig. Die lokale Industrie hat sich noch nicht vollständig von der COVID-Pandemie erholt, und die Sicherung des Vertriebs für kanadische Filme, selbst innerhalb Kanadas, bleibt eine Herausforderung. „Der Kinostart in Kanada ist schwierig, besonders für französische Filme im englischsprachigen Kanada oder nicht-frankofone Filme in Quebec“, sagt Robichaud. „Es ist, als wären wir zwei Planeten und wir sprechen nicht miteinander.“

Aber im Gegensatz zu den homogenisierten Hollywood-Filmen aus dem südlichen Nachbarland bietet das kanadische Kino heute ein reiches multikulturelles Mosaik von Geschichten, die sowohl kulturell spezifisch als auch universell relevant sind.

„Das ist die Geschichte einer queeren Tochter ostasiatischer Migrant:innen in Nova Scotia“, sagt Mirza über THE QUEEN OF MY DREAMS, „und wenn wir sehen, wie die Menschen auf Festivals weltweit darauf reagieren, wissen wir, dass es ein Publikum gibt und ein globales Publikum für Geschichten wie diese.“

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