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Sohrab Shahid Saless – vom iranischen Autorenfilmer zum großen Unbekannten des Neuen Deutschen Films

Ein Text von Behrang Samsami

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FOTO: BERT SCHMIDT

Der Drehbuchautor und Filmemacher Sohrab Shahid Saless (1944-1998) gilt in seinem Geburtsland als einer der Impulsgeber der „Neuen Iranischen Welle“. Ab Ende der 1960er-Jahre entstehen im Iran Autorenfilme, die stark vom italienischen Neorealismus wie vom französischen Nachkriegskino beeinflusst sind. Sie werfen einen kritischen Blick auf die Zustände im Land, stellen sie realistisch dar und besitzen eine eigene Handschrift.

Doch Saless verlässt 1974 nach zwei preisgekrönten Spielfilmen aus politischen und privaten Gründen den Iran und setzt seine Arbeit im bundesdeutschen Exil fort. Durch mehrjährige Aufenthalte in Österreich und Frankreich in den 1960er-Jahren ist er des Deutschen sowie Französischen mächtig. Das erleichtert es ihm, in Westdeutschland zu arbeiten und hier bis 1991 ganze 13 Spiel- und Dokumentarfilme zu realisieren. In ihnen bleibt Saless seinen im Iran erarbeiteten Sujets und seiner Ästhetik nicht nur treu, sondern er entwickelt sie weiter. Bei ihm stehen in der Regel Menschen im Mittelpunkt, die ein Leben in Einsamkeit, Sprach- und Hoffnungslosigkeit führen und ihrer scheinbar ausweglosen Existenz nicht entfliehen können.

Ob psychisch kranke Angestellte in TAGEBUCH EINES LIEBENDEN (1977), gedemütigte Prostituierte in UTOPIA (1983) oder liebesunfähige Hausfrauen in WECHSELBALG (1987): Saless nähert sich ihnen in langen, ruhigen Einstellungen an. Durch diese Technik ermöglicht er es seinen Zuschauern auch, die bedrückenden Lebensumstände der Figuren zu reflektieren, die Folge moderner, kapitalistisch organisierter Gesellschaften sind.

Gegen Ende der 1970er-Jahre verändert sich Saless: Er, der Außenseiter der westdeutschen Filmbranche, beginnt in der Bundesrepublik diskutierte Themen offensiver und direkter in seinen Filmen zu verarbeiten. Das „Dritte Reich“ und der Zweite Weltkrieg sind zwar mehr als drei Jahrzehnte her, doch ihre Aufarbeitung verläuft schleppend. Die Ausstrahlung der US-Serie HOLOCAUST führt 1979 zu einer heftigen Debatte über den Umgang mit der NS-Vergangenheit.

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Empfänger unbekannt
FOTO: BERT SCHMIDT

Hans Online

HANS – EIN JUNGE IN DEUTSCHLAND
FOTO: BERT SCHMIDT

In dieser aufgeheizten Atmosphäre realisiert Saless sein erstes Projekt nach zwei Jahren Pause. DIE LANGEN FERIEN DER LOTTE H. EISNER (1979) ist ein Dokumentarfilm mit und über die gleichnamige deutsch-jüdische Filmhistorikerin, die nach der „Machtergreifung“ Hitlers ins Exil nach Paris floh. Gleich in seinem nächsten Spielfilm ORDNUNG (1980) greift Saless das gesellschaftliche „Schlafen“ erneut an. Darin ruft der Protagonist bei einem Psychiatrieaufenthalt plötzlich „Auschwitz!“ und wird vom Personal mit einer Injektion ruhiggestellt. In EMPFÄNGER UNBEKANNT (1983) wagt Saless eine kontroverse Parallele zwischen der Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung ab 1933 und dem Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit Ausländern in Zeiten der Wirtschaftskrise und der „geistig-moralischen Wende“ Anfang der 1980er-Jahre. Mit HANS – EIN JUNGE IN DEUTSCHLAND (1985) nach dem Roman „Die blaue Stunde“ (1977) von Hans Frick zieht Saless ein bitteres Resümee: Die NS-Herrschaft ist 1945 zwar besiegt und der Krieg zu Ende. Doch der Antisemitismus bleibt und wirkt fort. Hierin gibt es keine Zäsur, keine „Stunde Null“.

Saless Portrait

Sohrab Shahid Saless
Foto: Bert Schmidt

Unzufrieden mit der Ausländer- und Filmförderungspolitik der Bundesregierung unter Helmut Kohl zieht Saless 1984 in die Tschechoslowakei, wo seine Filmarbeit allerdings der Zensur anheimfällt. Nach der deutschen Wiedervereinigung kehrt er zurück und dreht seinen letzten Film ROSEN FÜR AFRIKA (1991). Krank und resigniert angesichts der veränderten Film- und Fernsehlandschaft in der Bundesrepublik, zieht Saless 1995 in die USA, wo er drei Jahre später stirbt.

Am 28. Juni 2024 wäre Sohrab Shahid Saless 80 Jahre alt geworden. Das FILMFEST MÜNCHEN zeigt zu diesem Anlass ORDNUNG, EMPFÄNGER UNBEKANNT und HANS – EIN JUNGE IN DEUTSCHLAND, die sich mit der historischen Aufarbeitung der NS-Zeit und des Zweiten Weltkrieges in Westdeutschland befassen. Außerdem sollen die drei Filme zu einer (neuen) Sichtbarkeit von Saless beitragen. Er ist noch immer der große Unbekannte des Neuen Deutschen Films.

 

Die Kuratoren der Reihe HOMMAGE: SOHRAB SHAHID SALESS sind Behrang Samsami, Autor der Buchtrilogie "Die langen Ferien des Sohrab Shahid Saless" (2023), und der deutsch-iranische Filmemacher Daniel Asadi Faezi, die die Reihe am 02.07. im NS-Dokuzentrum mit einem FilmTalk eröffnen. Zusätzlich findet im Filmmuseum München eine Fotoausstellung von Monika Grube statt. Die Künstlerin, die bei mehreren Filmen von Saless für die Kostüme verantwortlich war, hat seinerzeit faszinierende Fotos gemacht.

Alle Fotos entnommen aus: "Sohrab Shahid Saless. Film im Kopf" von Bert Schmidt“, Belleville Verlag.

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